Zauberbuch
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Das erste Buch über die Glasmacherei zu lesen ist eine erhebliche Plackerei. Auf den ersten Seiten muss dem Fürsten geschmeichelt werden, über zahlreiche nächste Seiten kriechen zwei Vorreden hinweg, und ist man dann beim Handwerklichen, beginnt das Problem der ortsbezogenen Bezeichnung vieler Dinge: Was das alles ist, das da das Glas so schön färbet, und wie es herzustellen und zu bearbeiten ist - das mit "Sprache" mitzuteilen fiel in der Renaissance - und da befinden wir uns 1679 - noch so schwer, dass die werdenden Glasmeister sich mit Erproben, Raten und Übersetzen mehrjährig in dieses Buch stürzen mussten. Es gab dann aber zweihundert Jahre lang kein weiteres Lehrbuch... Also "ARS VITRARIA EXPERIMENTALIS" - Handbuch für die Kunst der Glasbearbeitung - ist ein Meilenstein in der jahrtausendelang enorm mühsamen Kommunikation zwischen Handwerkern und Forschern.

Hier sind mal zwei Bilder und die erste Experimentanleitung zu lesen. Du wollen weiter eruieren?  http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/kunckel_glasmacher_1679?p=39

Das Erſte Capitel.

Wie das Saltz aus dem Pülverlein/ Rochetta/ und aus
der
Soda Hiſpanica auszuziehen/ vermittelſt welches
die
Fritta Cryſtalli/ von den Jtalienern Bollito ge-
nannt/ zubereitet wird/ als darinnen das
fundament
der gantzen Glasmacher-Kunſt beſtehet/ mit einer
gantz neuen und geheimen Manier.

DAs Pülverlein oder Rochetta/ welches aus Orient von Syrien
und Levante kommet/ iſt die Aſche eines gewiſſen Krautes/ ſo all-
da häuffig wächſt/ dieſe Aſche giebet ohne Zweifel ein viel weiſ-
ſer Saltz als die Spaniſche Soda: So man derowegen ein ſchönes
und vollkommenes Cryſtall verfertigen will/ muß ſolches geſchehen mit
dem extrahirten Saltz/ aus der oberwehnten Levantiſchen Rochetta:
Denn ob wol die Spaniſche Soda Saltzreicher/ ſo kommet doch das
Cryſtall/ mit dieſen Saltz bereitet/ allezeit etwas blaulicht/ und hat keine
ſo ſchöne Farbe und weiſſen Glantz/ gleich dieſem Cryſtall/ welcher aus
den Levantiſchen Pülverlein Rochetta iſt bereitet worden.

Die Manier aber das Saltz ſo wohl aus der Rochetta/ als Soda
vollkommlich zu extrahiren/ iſt dieſe nachfolgende/ welche ich auch zum
öfftern verſuchet:

Nachdem dieſe Syriſche Aſche/ in einem Stein-Mörſel/ mit ei-
nem eiſeren Stämpel zerſtoſſen worden/ muß ſie durch ein enges Sieb/
damit nur die bloſſe Aſche/ ohne die gröblichten Stücklein durchfalle/
geſchlagen werden/ ſintemal hierinnen die Kunſt viel oder wenig Saltz
zuüberkommen/ beſtehet.

Bey Einkauffung dieſer oder der andern Sorten/ iſt dieſes in acht
zu nehmen/ daß man das jenige erwehle/ welches am Saltzreichſten iſt/ wel-
ches mit der Zung uñ den Geſchmack geprüfet und erkañt wird; unter al-
len aber iſt der ſicherſte Weg dieſer/ daß man es meinen Schmeltz-Tigel
probire/ und ſehe/ ob es mehr Sand oder Tarſi hat/ als welches unter die
Lehrſtücke dieſer Kunſt gehörig/ und denen Glasblaſern ſehr wohl be-
kannt iſt.

Ferner ſollen unterſchiedene aus Glockenſpeiß gegoſſene Keſſel/
mit ihren unterbauten Oefen/ nach der Art wie es die Färber haben/
bey Handen ſeyn/ und ſolche entweder gröſſer oder kleiner/ je nach dem
man viel oder wenig Saltz bereiten und extrahiren will: Dieſe Keſſel
werden mit friſchen Waſſer angefüllet/ und alsdann ein Feuer vom
dürren Holtz/ welches nicht ſehr rauchet/ untergeſchieret/ wann nun
das Waſſer wol auffzuſieden hat angehoben/ ſo werffe man einen Theil
des geſiebten Aſchen-Pulvers hinein/ und zwar ſo viel/ als die Menge
des Waſſers zu erfordern ſcheinet; das Feuer hält man immer fort/
biß durch ſtetiges Kochen/ der dritte Theil des Waſſers verrauchet ſey;
in wehrender Kochungs-Zeit aber/ muß es auff den Boden des Keſ-
ſels mit einen Rührſcheit/ immerzu umbgerühret werden; damit das
hineingeſchüttete Pulver dem Waſſer ſich einverleibet/ und das darin-
nen enthaltene Saltz/ vom Waſſer ausgezogen werde: Nach dieſem
füllet man die Keſſel wiederumb mit friſchen Waſſer/ und läſſet es alſo
ſiedend biß zur Helffte abrauchen/ ſo wird die Lauge ſaltzicht genug und
fertig ſeyn.

Will man aber ein noch weiſſer und häuffiger Saltz erhalten/ ſo
wirfft man in ſiedende Waſſer des Keſſels/ vor dem Zuſatz des Pulvers/
10. Pfund rothen und biß zur Schwärtze gebrandten Weinſtein/ läſſet
ſolchen darinn zergehen/ rühret es mit einen Holtz wohl herumb/ und
ſchüttet alsdann/ das bewuſte Pulver darzu hinnein: dieſe Manier den
Weinſtein zuzuſetzen iſt noch geheim/ vermittelſt welcher man mehrers
Saltz bekommet/ und wird auch das Cryſtall ſchöner und weiſſer.

Wann zwey dritteltheil des Waſſers verkochet/ und die Lauge
ſtarck vom Saltz worden/ ſo wird das Feuer gemindert/ und werden un-
terſchiedliche neue/ und irrdene Geſchirre/ (ſo vorhero 6. Tag lang mit gemeinen Waſſer angefüllet geweſen/ damit ſie deſto weniger Lauge und
Saltz in ſich ziehen) nach der Reihe hingeſetzet; alsdann wird die Lau-
ge ſamt der Aſche aus den Kefſeln/ mit groſſen eiſern Löffeln/ in dieſe irr-
dene Geſchirre gegoſſen/ und wann ſie voll/ läſſet mans 2. Tage ſtehen/
wann ſolche Zeit verfloſſen/ und ſich die Aſchen auff den Boden geſetzet
hat/ ſo wird all die lautere Laugen gemählich (damit nichts unreines vom
Grunde auffſteige/ und die Lauge trüb mache) mit küpffern Löffeln/ in
andere Geſchirre übergegoſſen/ und abermal 2. Tage dahin geſtellet/ da-
mit ſich die übrige irrdiſche Unreinigkeit gar ſetze/ und die Lauge deſto klä-
rer und lauterer werde/ ſolches wird zum dritten mal wiederholet/ ſo wird
die Lauge hell und klar/ auch von aller Unreinigkeit abgeſchieden ſeyn; aus
dieſer wird hernach ein reines und vollkommenes Saltz bereitet.

Die Keſſel werden nun wiederumb auffs neue mit Waſſer ange-
füllet/ und wird/ wie oberwehnet/ in einem jeden/ 10. Pfund Weinſtein/
ſam̃t der gewöhnlichen Qvantität der geſiebten Aſchen oder des Pülver-
leins gethan/ und auff ſolche Weiſe das Werck fortgeführet/ ſo lang
man noch etwas von der geſiebten Aſchen übrig hat.

Damit nun aus der oben-bereiteten Laugen das Saltz gebracht
werde; ſo wäſchet man erſtlich den Keſſel mit reinen Waſſer ſauber
aus/ alsdeñ wird ſolcher mit der klarẽ Laugẽ voll gefüllet/ ſolche läſſet man/
wie oben gedacht/ gelinde kochen/ jedoch ſo/ daß man den Keſſel allezeit
mit Lauge nach fülle/ biß es beginnet dick zuwerden/ und das Saltz auffzu-
werffẽ/ welches ungefehr nach Verflieſſung 24. Stundẽ/ zugeſchehen pfle-
get: in dem alsdeñ auff der obern Flache des Keſſels/ das weiſſe Saltz/ gleich
einem Netz erſcheinet/ darnach nimmt man/ mit einen löcherichten Rühr-
Löffel oder Durchſchlag das auff den Boden gefallene Saltz/ nach und
nach aus dem Keſſel/ läſſet die Laugen abtropffen oder durchſeichen/ und
thut das Saltz in irdene und löcherichte Gefäß/ damit es ſchleiniger trock-
nen und die Laugen abrinnen kan/ welches abgeronnene wiederum in den
Keſſel gethan wird: Und auff ſolche Weiſe fähret man ſo lang fort/ biß daß
alles Saltz iſt herausgenommen worden.

Es iſt aber zu mercken/ daß man das Feuer/ ſo bald ſich das Saltz
ereignet/ etwas mindere; denn ſo man mit ſtarcken Feuer fort führe/
ſo würde ſich das Saltz ſehr heiß an den Keſſel legen; und weil es ein ſehr
ſtarckes Saltz iſt/ den Keſſel verderben; dergleichen mir etliche mahl
widerfahren iſt; iſt derowegen ſolches wohl in acht zunehmen/ und
Fleiß hier anzuwenden: Das Saltz/ wann es wohl abgeſiegen/ nimmt
mans auß den Gefäſſen/ und verwahret ſolches in einer Schachtel oder
höltzerem Käſtlein; damit deſto beſſer alle Feuchtigkeit davon verzehret
werde; welches erſt nach etlichen Tagen/ und nach dem die Zeit des
Jahrs iſt/ eher oder langſamer zu geſchehen pfleget. Die gantze Kunſt
aber ein ſchönes Saltz zu bereiten/ iſt/ wie wir oben angemercket haben/
an den Weinſtein gelegen: Jch habe gemeiniglich aus 300. Pfund der
Levantiſchen Aſchen/ 80. biß 90. Pfund Saltz bekommen.

Wann nun das Saltz wohl getrocknet/ ſo wird es gröblich zer-
brochen/ in den Calcinier- oder Aſch-Oefen/ bey gelinder Hitze ferner ge-
dörret/ und mit einem eiſernen Jnſtrument oder Rührhacken/ oder
gleich wie die Fritta, durch einander gerühret; demnach alſo das
Saltz in einen mäſſigen warmen Ofen alle Feuchtigkeit verlohren/
wird ſolches heraus genommen/ in einen ſteinern Mörſel zerſtoſſen/ und
durch ein ſo enges Sieb geſchlagen/ daß die durchgefallene Saltzkör-
ner/ nicht gröſſer als ein Gedräyt-Korn/ ſind; dieſes alſo zerſtoſſene/ ge-
ſiebte und getrocknete Saltz/ wird an einem Ort/ vom Staub entfer-
net/ abſonderlich auffbehalten; damit die Fritta Cryſtalli, auff nechſt fol-
gende Weiſe daraus verfertiget werde.

... da folgt dann das zweite Kapitel, diese "Fritta Cryſtalli" herzustellen: http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/kunckel_glasmacher_1679?p=39

Obige Startseite des Buches im "Klartext":

JOHANNIS KUNCKELII,
Churfürſtl. Brandenb. würcklichbeſtallt-geheimden Cammer-Dieners/

ARS VITRARIA EXPERIMENTALIS,

Oder Vollkommene Glasmacher-Kunſt/

Lehrende/ als in einem/ aus unbetrüglicher Erfahrung herflieſſendem
COMMENTARIO,
über die von dergleichen Arbeit beſchriebenen
Sieben Bücher P. ANTHONII NERI, von Florentz/
und denen darüber gethanen gelehrten Anmerckungen

CHRISTOPHORI MERRETTI, M. D. & Societ. Reg. Brittann. Socii,
(ſo aus den Jtal und Latein. beyde mit Fleiß ins Hochdeutſche überſetzt)

Die allerkurtz-bündigſten Manieren/ das reineſte Chryſtall-Glas;
alle gefärbte oder tingirte Gläſer; künſtliche Edelſtein oder Flüſſe; Amauſen/

oder Schmeltze; Doubleten; Spiegeln/ das Tropff-Glas; die ſchönſte Ultra-
marin, Lacc-
und andere nützliche Mahler-Farben; Jngleichen wie die Saltze zu
den allerreineſten Chryſtallinen Gut/ nach der beſten Weiſe an allen Orten Deutſchlands mit geringer Müh und Unkoſten copieus und compendieus zu machen/ auch wie das Glas zu mehrer Perfection und Härte zu bringen. Nebſt ausführlicher Erklärung aller zur Glaskunſt gehörigen Materialien und ingredientien; ſonderlich der Zaffera und magneſia etc. Anzeigung der nöthigſten Kunſt- und Handgrieffe; dienlichſten Inſtrumenta; beqvemſten Gefäſſe/ auch nebſt andern/ meinen ſonderbaren Ofen/ und dergleichen mehr/ nützlichen in Kupf-
fergeſtochenen Figuren.

Samt einem II. Haupt-Theil/
So in drey unterſchiedenen Büchern/ und mehr als 200.
Experimenten beſtehet/ darinnen vom Glasmahlen/ Vergulden und Brennen; Vom Holländiſchen Kunſt- und Barcellan-Töpfferwerck; Vom kleinen Glasblaſen mit der Lampen; Von einer Glas-Flaſchen-Forme/ die ſich viel 1000. mal verändern läſſet; Wie Kräuter und Blumen in Silber abzugieſſen; Gypß zu tractirn; Rare Spiec- und Lacc-Fürniſſe; Türckiſch Pappier: etc.

Jtem der vortreffliche Nürnb. Gold-Strau-Glantz; und viel andere ungemeine
Sachen zu machen/ gelehret werden/ mit einem Anhange von denen Perlen und faſt allen natürlichen Edelſteinen; Wobey auch in gewiſſen Tabellen eigentlich zu ſehen/ wie ſich die köſtlichſten derſelben nach dem Gewicht an ihren Preiß verhöhen/ und einen vollſtändigen Regiſter.

Mit Röm. Käyſ. M. und Churfl. Sächſ. D. allergnädigſt/ und gnädigſt ertheilten Freyheit.

Franckfurt und Leipzig/
Auff Koſten des Autoris/ bey Johann Bielcke/ Buchführern in Jena/ zu finden.
Leipzig/ gedruckt bey Chriſtoph Günthern/ 1679.